KERSTIN LANGHOFF- Aktuelles von der Schreibwerkbank...
Sonntag, 3. September 2006
Der kleine Ritter Tom und Nosi, der Peperonidrache
Der kleine Ritter Tom und Nosi, der Peperonidrache

Tom sitzt in seinem Versteck im Turm. Für den kleinen Ritter ist das der wichtigste Ort für schwierige Lebensfragen. Er hat heute schon den ganzen Tag nichts gegessen. Bei dem Gedanken an die bevorstehende Drachenjagd scheint sich sein Magen einmal um zu drehen.
„Ich will da einfach nicht mit. Basta. Außerdem soll Papa mich nicht immer Ritter Mutlos nennen.“ Ärgerlich schabt Tom mit einem Stock den Dreck aus einer Mauerritze. Sein Vater hat ihm den Spitznamen „Ritter Mutlos“ gegeben, weil er Angst vor Drachen, Dunkelheit und bösen Rittern hat. Na und...? Tom findet seinen Spitznamen genauso blöd wie auf eine Drachenjagd zu gehen. Viel lieber würde er "Ritter Siegessicher" heißen, so wie sein Vater. Den Namen hat sein Vater übrigens vom König bekommen- höchstpersönlich. In Wirklichkeit heißt sein Vater Wilhelm.
Tom ist noch ein Page. Man kann nämlich erst mit 21 Jahren Ritter werden und leider nur, wenn man sehr tapfer ist. Als Page bedient er den König. Das klingt sehr spannend. Ist es aber nicht, findet Tom. Da gibt es keine wirklichen Abenteuer, immer nur dem Burgherren Essen bringen, Essen wegräumen, Essen bringen, Essen wegräumen usw. "Ich werde Papa schon zeigen, dass ich mutig bin, nur eben nicht bei fiesen Drachen und schon gar nicht nachts." Mittlerweile ist die Ritze in der Mauer zu einem Loch geworden.
Mit der Dunkelheit nähert sich die Drachenjagd, wie ein Termin beim Zahnarzt. Ritter jagen nachts, weil da die Drachen aus ihren geheimen Höhlen kriechen, um zu fressen. Dafür fliegen sie zu den Feldern der Bauern und verspeisen: Mais, Salat, Tomaten, Äpfel, Birnen und vor allem Peperoni. Peperoni sind für Drachen so lecker wie für Tom Schokolade, und außerdem ölen Drachen damit ihren Feuerrachen. Doch besonders die Bauern sind deswegen auf die Flugdiebe sehr sauer.
Dann ist es soweit. Tom stiefelt hinter Ritter Siegessicher aus dem Burgtor.
„Ich muss Papa dicht auf den Fersen bleiben, dann passiert mir nichts“, leiert Tom leise vor sich her.
Aber Ritter Siegessicher macht riesige Schritte. Immer wieder dreht er sich zu Tom um und macht: „Pssssst!“
Aber wie soll Tom denn leise sein, wenn die schwere Eisenrüstung bei jedem Schritt scheppert, als würden sämtliche Töpfe aus dem Küchenregal purzeln?
Plötzlich flüstert sein Vater: „Ritter Mutlos, du bleibst hier, und ich knöpfe mir den Drachen vor!“
Toms Herz pocht so laut, dass er Angst hat, der Drache könnte es hören. Er stolpert hinter den nächsten Felsvorsprung. Sein Papa schleicht sich an das Riesentier heran. Doch da dreht sich der Drache um. Er bäumt sich auf, schreit schrill und schwingt dabei seine Flügel. Eine unglaubliche Feuerfontäne bricht aus seinem Maul hervor. Tom bleibt die Zunge im Hals stecken. Er schließt die Augen. Kurz darauf hört er mächtige Flügelschläge. Sie entfernen sich. Mucksmäuschenstille! Papa, wo bist du? Ängstlich schaut sich Tom um, aber durch den Helm sieht er kaum etwas. Mühsam befreit sich Tom von dem dicken Eisen um seinen Körper. Jetzt fühlt er sich wie eine Schildkröte ohne Panzer. Weit und breit keine Spur von seinem Vater.
Da, da hat sich doch was bewegt. Toms Blick klebt an der Brombeerhecke. Drachenaugen blitzen durch die Blätter, oder waren es nur die Glühwürmchen? Dann quetscht sich etwas durch das Gebüsch und plustert sich vor Tom auf. Jetzt muss Tom schmunzeln.
„Wer bist denn du?“, fragt er.
„Ich? Pah, das siehst Du doch, bestimmt nicht so ein zwackeliger Zweibeiner wie du! Ich heiße Nosi.“
Nosi versucht die Zähne zu fletschen. Aber es hört sich eher so an, als würde er Spaghetti schlürfen.
„Hm, ich heiße Tom, und ich suche meinen Vater. Hast du ihn zufällig gesehen, er sieht aus wie der gefürchteteste Ritter überhaupt.“
„Nö, aber ich suche auch meinen Papa, und ich glaube, dein rosteliger Papa und mein Papa kämpfen gerade miteinander.“
Beide schweigen betrübt.
Tom versucht sich und Nosi zu beruhigen: „Ach, denen ist bestimmt nichts passiert. Du kannst uns ja hier bei dem Holzhaufen ein Feuer machen. Dann warten wir gemeinsam, bis unsere Papas wiederkommen.“
„Aber das ist es doch, ich kann gar kein knisterliges Feuer spucken. Deswegen ist mein Papa doch so enttäuscht.“, jammert Nosi.
„Weißt du, ich hab’ mal gehört, dass Drachen am besten Feuer spucken, wenn sie ganz zornig sind!“ Kurz darauf sagt Tom: „Wie findest du es denn, dass unsere Väter gegeneinander kämpfen, obwohl ihr und wir doch ganz nett sind.“
Nosi grübelt. Er holt tief Luft und- wuschschsch, ein großer Feuerguss trifft auf den Holzscheit.
„Dopeldupeldoof, finde ich das!“, keucht Nosi, als hätte er gerade einen Heißluftballon zum Fliegen gebracht.
Erst dann bemerkt er das Feuer.
„Du hast es geschafft!“
Tom ist außer sich vor Freude. Nosi kann sein Glück gar nicht fassen. Erst als Tom ihm eine rote Peperoni hinhält, strahlt er bis zu seinen Ohrenspitzen. Stolz setzt er sich zu Tom an das Lagerfeuer.
„Die Peperoni schmeckt feurig gut!“ nuschelt er schmatzend.
Beide rücken eng aneinander. Sie hören leise Flügelschläge, die schnell lauter werden. „Papa!“ Nosi springt auf.
Der große Drache lässt sich am Feuer nieder.
„Nanu Nosi, was sehe ich da, du hast einen Menschenjungen gefangen?“
„Nein, nein Papa, Tom ist doch mein menscheliger Freund!“
„Waaaaas?“
Empört reißt der große Drache seine Flügel auseinander und streckt seine Brust heraus. In dem Moment kommt Ritter Siegessicher aus dem Wald hervor und richtet sein Schwert auf die Brust des Drachens, genau da, wo dessen Herz schlägt.
Tom schreit auf: „Papa, niiiiiicht! Papa, Du darfst Nosis Vater nicht töten, Nosi ist doch mein Freund!“
Ritter Siegessicher lässt sein Schwert sinken.
Zornig und verwirrt zugleich keucht er: „Ritter Mutlos, was soll denn das?“
Doch Tom erklärt hastig: „Weißt Du, ich habe Nosi sogar das Feuerspucken beigebracht!“
Als der große Drache das hört, hopst und lacht er plötzlich um seinen Sohn herum.
„Nosi, du kannst Feuer spucken, wirklich?“
Er scheint außer Rand und Band. Die beiden Ritter schauen sich verdutzt an. Noch nie haben sie einen so großen und noch dazu so ulkigen Drachen gesehen.
Papa Wilhelm beugt sich zu seinem Sohn und flüstert ihm ins Ohr: „Du bist der erste Ritter, der es geschafft hat, sich mit einem Drachen zu befreunden und ihn dann auch noch zum Tanzen zu bringen. Ich glaube, ich sollte Dir mal einen anderen Spitznamen geben. Wie wär's mit Ritter Drachenherz?“
Tom schmunzelt und nickte. Dann stapft Papa Wilhelm auf Papa Drache zu. Er scheint mit ihm reden zu wollen. Tom wird unruhig, was hat sein Vater vor? Der große Drache wendet sich dem Ritter in dem witzigen Konservendosenkostüm zu und wird wieder ernst.
„Ja, ich höre?“
„Nun“, sagt Wilhelm zögernd, „ also, ich habe mir gedacht, dass unsere Söhne recht haben. Wir sollten, natürlich nur, wenn es keine Umstände macht, sehr verehrter Herr Drache, ähm, uns lieber gegenseitig helfen, anstatt zu jagen. Ihr Drachen helft uns die Burg mit Feuer und Wärme zu versorgen, steht ab und zu als Flugtaxi bereit und hört auf, unsere Ländereien abzufackeln, und wir, hm,...“.
„Und IHR...?“, faucht der große Drache.
„Ja, ähm, und wir geben Euch einen großen Landstrich auf dem wir für Euch Obst, Gemüse, Getreide und so viel Peperoni anbauen, wie ihr wollt!“
Nosi lauscht und seine Ohren flattern vor Aufregung: „Gelbe, rote, grüne, orange, für schmackelige Peperoni mache ich fast alles!“
Auch Papa Drache ist von dem Vorschlag des Ritters begeistert, versucht es aber nicht zu zeigen: „Hm, ja,..." der große Drache räuspert sich laut, "also gut, aber nur, wenn ihr auch einhaltet, was ihr versprecht!“
Als Tom das hört, steigt ihm das Glück bis in die Haarspitzen. Er hat einen Drachen als Freund und sein Vater hat nichts dagegen. Im Gegenteil, Wilhelm ist sich sicher, dass er den König mit seiner Abmachung hoch erfreut. Denn dieser klagt Tag aus Tag ein über seine kalten Füße, die eisige Dusche und die verbrannten Felder.
Die ersten Sonnenstrahlen brechen durch den Morgennebel. Tom zieht sich an Nosis Schuppenmähne hoch, um auf dessen Rücken zu kommen. Papa Wilhelm kraxelt ebenfalls auf den Rücken des großen Drachen. Beide Drachen gleiten der Sonne entgegen, hin zu der Ritterburg, auf deren Zinnen ein Bläser den Morgen einläutet.
„Wo sind eigentlich eure Höhlen?“, fragt Tom Nosi.
„Das bleibt ein nosiliges Geheimnis, aber vielleicht werde ich sie dir bald einmal zeigen.“
Beide merken, das ist erst der Anfang einer spannenden Freundschaft. Tom hält seine Nase in den Wind. Gibt es etwas Schöneres, als so der Sonne entgegen zu fliegen?
© Kerstin Langhoff


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